Ich erinnere mich nur vage an die Gefühle, die ich gespürt hatte, als ich zusammen mit Greta, meiner Projektpartnerin in unserem Freiwilligendienst hier in Transylvanien, Rumänien, in Miercurea-Ciuc eines Nachmittages angekommen bin. Die meiste Zeit, egal ob der Flug zwischen Berlin und Bukarest, oder die Zugfahrten von Bukarest bis hin zur Stadt, in der wir nun seit über zwei Monaten leben, habe ich eigentlich nur geschlafen. Und trotzdem, als ich in einem klaren Moment da mit ihr saß, und wir beide aus dem Fenster die vorübergehende Landschaft beobachteten, wusste ich: Das wird eine Erfahrung, die es in sich hat.
Meine Gefühle am ersten Tag haben sich bewahrheitet. Am selben Abend habe ich in mein Tagebuch geschrieben: “Ich glaube, mit den Menschen hier wird man gut auskommen. Hoffentlich lasse ich mich von ihnen inspirieren.” Seit meiner Ankunft in dieser kleinen und doch sehr großen Stadt habe ich mich von so einigem, und von so vielen, in unterschiedlichster Art und Weise inspirieren lassen. Ich habe in nur zwei Monaten mehr über mich selbst und andere lernen können, entweder durch die Arbeit oder durch die Zeit, die ich mit anderen Freiwilligen verbringe.
Greta und ich nehmen an einem Projekt teil, das selbst unsere Aufnahmeorganisation Care2Travel nur so richtig mit “Community” in einem ihrer Instagram-Highlights beschreiben kann. Das liegt vermutlich größtenteils daran, dass wir die verschiedensten Aufgaben übernehmen. Zu Beginn unseres Projekts haben wir noch dabei geholfen, Summer Camps für die Kinder durchzuführen – mit ihnen Englischvokabeln lernen, Spiele spielen und am Schluss Wassermelone essen. Nach und nach durften wir immer mehr Verantwortung für unterschiedliche Dinge übernehmen, beispielsweise planen und führen wir aktuell so gut wie selbstständig einen Englisch-Club mit Kindern in derselben Altersgruppe durch. Wir organisieren außerdem Quiz-Nächte und helfen bei Brettspiel-Nächten für die Menschen in der Stadt. Gleichzeitig hatten wir schon die Möglichkeit, Content für die Social Media Seiten der Organisation zu erstellen und ein bisschen Einfluss darauf zu nehmen, was für Content gepostet werden soll. Jedes Mal, wenn ich einer neuen Freiwilligen erklären möchte, was wir genau machen, dann fehlt mir immer ein deutscher Begriff, der, wie ich finde, das Ganze ganz toll zusammenfasst: “Mädchen für alles.”
Aber es ist wirklich im allerbesten Sinne gemeint, denn durch diese enorme Vielfalt, die wir in unserer Arbeit erleben, wird einem nie langweilig. Man wird immer herausgefordert, und das ist unter anderem, warum ich hier an teilnehmen wollte. Ich wollte eine Veränderung in meinem Alltag nach dem Schulabschluss und mehr Richtung für meine Zukunft bekommen. Ich kann sagen, dass ich schon gut auf dem Weg dahin bin, wofür ich sehr dankbar bin. Vor dem Anfang meines Projekts hatte ich zum Beispiel gesehen, dass ich mit Kindern arbeiten werde – Ich war dem zunächst ziemlich skeptisch gegenüber eingestellt, weil ich immer von mir ausgegangen bin, dass ich nicht gut mit ihnen umgehen kann. Nach mehreren Malen kann ich aber sagen, dass ich mehr Selbstbewusstsein darin gefunden habe, dass Kinder mich doch irgendwie so manchmal mögen. Natürlich ist es oft schwierig, aber ein Lächeln, ein selbstgemaltes Bild für mich oder eine Umarmung als Verabschiedung am Ende des Tages macht das alles wieder wett. Das sind mit die schönsten Erinnerungen in meiner Zeit hier.
Der Alltag hier ist auch nicht so anders, als ich es im ersten Moment vielleicht erwartet hätte. Ich muss zugeben, dass mich vor meiner Abreise auch Stereotypen über Osteuropa und Rumänien geplagt haben, die ich eigentlich sofort wieder abgelegt habe, als ich hier ankam. Wenn man mit der Realität der Kultur und des alltäglichen Lebens konfrontiert wird, wird einem schnell klar, dass so gut wie gar nichts mit den eigenen Vorurteilen übereinstimmt, und dass man eigentlich gar nicht so unterschiedlich ist wie zu Beginn angenommen. Ich war ehrlich gesagt, und das ist mir fast etwas peinlich, sehr überrascht, wie viele Supermarktketten, die es bei mir gibt, auch hier vertreten sind. Gedankt sei Kaufland.
Als ein paar der Freiwilligen und ich im September übers Wochenende in eine der größeren Städte in Rumänien gefahren sind, Brașov, war mein erster Gedanke: Das Verhältnis zwischen Csíkszereda (so nennt die ethnische Mehrheit der “Szekler”, die hier wohnt, die Stadt) und Brașov erinnert mich an das zwischen meiner Heimatstadt und Berlin. Es fühlte sich wie ein Stück Zuhause an, mit dem Zug in die nächstgrößere Stadt zu fahren und dort seine Zeit zu verbringen. Auch wenn ich sagen muss, dass ich Miercurea-Ciuc viel schöner und angenehmer finde als die Stadt, in der ich geboren bin! Ich fühle mich einfach sehr wohl hier.
Außerhalb der Arbeit verbringe ich das meiste meiner Freizeit mit anderen Freiwilligen. In dem Komplex, in dem ich mit anderen, sowohl Langzeit- als auch Kurzzeit-Freiwilligen, von überall in der Welt lebe, machen wir viel gemeinsam. Von Filmnächten, zu improvisierten Home Partys, Ausflügen, zu Eishockeyspielen, bis hin zu Lagerfeuern gab es schon alles. Man wächst auch daran enger zusammen und lernt sich besser kennen, was es aber auch schwieriger gestaltet, wieder Abschied nehmen zu müssen. Ich habe in nur zwei Monaten so viele interessante Persönlichkeiten kennengelernt, an die ich mich sicher noch lange Zeit erinnern werde.
Aber manchmal ist es noch schwer, sich von alten Gewohnheiten zu lösen und dadurch hatte ich auch schon die ein oder andere schlechte Zeit, wenn FOMO wieder anklopft und andere ohne mich etwas unternehmen. Was mir das aber soweit beigebracht hat, ist, dass ich einfach versuche, an so vielen Aktivitäten teilzunehmen wie möglich und es sich für mich gut und richtig anfühlt. Sich daran zu erinnern, dass jede dieser Aktivitäten eine Möglichkeit ist, andere besser kennenzulernen, hilft meistens.
Als ESK-Freiwillige in Miercurea-Ciuc habe ich außerdem eine Mentorin, die mir bei meiner persönlichen Entwicklung, dem Erreichen meiner Ziele und den Eingliedern in die Gesellschaft hier zur Seite steht. Wir verstehen uns sehr gut und ich freue mich auf viele weitere Treffen, in denen ich von ihr lernen kann und ich jemanden habe, der mich bei der Lösung von Problemen, die vielleicht aufkommen, unterstützen kann. Eins meiner Ziele ist es, Ungarisch zu lernen, damit ich meine Mitmenschen hier besser verstehen, mit ihnen kommunizieren und mich noch mehr in die Gesellschaft einbringen kann: Wir gehen da Schritt für Schritt heran und sie hilft mir, einzelne Phrasen zu übersetzen oder zu korrigieren, wenn ich versuche, mein Wissen anzuwenden. Wenn man dann als Antwort auf einen selbst formulierten, grammatikalisch richtigen Satz ein “PERFEKT!” in Großbuchstaben bekommt, ist das mein liebstes Erfolgserlebnis.
Künftig erwarten mich einige neue Dinge, die meinen Alltag füllen werden: Da sind zum Beispiel die Besuche im Kindergarten, die Deutsch- und Englisch-Clubs und etwas später die Intercultural Night, in der ich meine Heimatregion präsentieren werde. Ich plane außerdem, noch viele Ausflüge mit den anderen in die vielen Regionen von Rumänien zu machen. Alles in allem blicke ich zuversichtlich in die Zukunft und freue mich auf jede Herausforderung, die mich erwarten wird.
Alexandra
Alexandra verbringt ihren Freiwilligendienst bei Care2Travel, ihr Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.