Čau aus dem mittlerweile verschneiten Balvi! Jetzt sind schon 4 Monate vergangen, seitdem ich Anfang September in dieser kleinen lettischen Stadt angekommen bin. So viel ist in dieser Zeit passiert, und gleichzeitig fühlt es sich an wie gestern. Auch seit dem letzten Zwischenbericht scheinen kaum 2 Wochen vergangen zu sein – aber alles der Reihe nach.
November in Lettland zu erleben ist etwas besonders, da in diesem Monat viele Letten sehr patriotisch drauf sind. Straßen und öffentliche Plätze werden in weiß und rot dekoriert, Viele laufen mit Ansteckern der Flagge herum und es gibt zwei größere Feiertage. Da ist einmal am 11.11. der „Lāčplēša diena“, den ich bereits in meinem letzten Bericht am Rand erwähnt hab, und den wir nun miterleben konnten. Es gab einen großen Umzug durch Balvi mit so vielen Menschen, wie wir noch nie hier im Ort gesehen hatten. Viele trugen Fackeln, und als wir am Partisanendenkmal des Ortes ankamen, wurden lange Reden gehalten und die Nationalhymne gesungen.
Eine Woche später ist der Unabhängigkeitstag, zu dem wir mit anderen Freiwilligen gemeinsam nach Rīga gefahren sind. Dort gab es eine beeindruckende Lichtshow an der lettischen Freiheitsstatue, eine Militärparade und viele feiernde Menschen auf der Straße. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren so voll, dass wir mehr als einmal ein Taxi rufen mussten um an unser Ziel zu kommen, und die komplette Innenstadt war beinahe überfüllt.
Im November hatte auch endlich unser Lettischunterricht begonnen, und eine zunehmende Sicherheit bei Aussprache und Satzbildung merke ich schon bei mir. Andere zu verstehen wird auch immer einfacher. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich spätestens zu Ostern eine halbwegs ordentliche, grundlegende Konversation werde führen können. Zusätzlich zum täglichen Kontakt mit der Sprache würde ich sagen, dass vor allem das Vokabeln und Verbformen lernen dazu beiträgt – dran bleiben lohnt sich also definitiv, auch wenn es „nur“ für 10 Monate Freiwilligendienst ist.
Als es dann mehr in Richtung Dezember ging, wurden schnell die öffentlichen Dekorationen in blinkende Lichterketten und große Weihnachtsbäume umgewandelt. Trotzdem habe ich die Weihnachtsdeko, wie ich sie zu Hause im Erzgebirge gewöhnt bin, schmerzlich vermisst – kaum ein Lette schmückt etwa seine Fenster, und so sehen die allgegenwärtigen Plattenbauten im Advent ebenso grau aus wie in der Zeit davor und danach.
Die Weihnachtszeit war für uns im Projekt die bisher stressigste Periode, da so gut wie jeden Tag ein Event mitorganisiert wurde. Dabei hatten wir auch viele schöne Erlebnisse. In jedem der Jugendzentren, in denen wir arbeiten, haben wir Kekse gebacken, und in Balvi auch 3 Haselnüsse für Aschenbrödel mit englischen Untertiteln geschaut (was in Lettland übrigens ein unbekannter Film ist – der typische Weihnachtsfilm hier ist „Kevin allein zu Haus“, oder wie die Letten sagen: „Viens pats mājās“). Insgesamt hat sich für mich herausgezeichnet, dass ich am meisten die Arbeit im Kindergarten schätze, welcher ich einmal die Woche nachgehe. Die Kinder sind mir besonders ans Herz gewachsen, und die Interaktion mit ihnen hilft meinem lettisch sehr. Ein weiteres Highlight meiner Weihnachtszeit war darum, als Erik und ich zu ihrer Weihnachtsfeier eingeladen wurden, bei der sie den Eltern ein Theaterstück mit Liedern vorgeführt haben.
Auch außerhalb der Arbeit ist es in den letzten Monaten nicht langweilig geworden. Nachdem ich seit Beginn unseres Freiwilligendienstes in einer lettischen Volkstanzgruppe für Jugendliche aktiv bin, war es Anfang Dezember Zeit für unseren ersten Auftritt. In traditioneller nordlettgallischer Tracht tanzten wir im lokalen kulturellen Zentrum auf einer Jubiläumsfeier zusammen mit etwa 20 anderen Tanzgruppen aus weiten Teilen des Landes. Es war eine sehr eindrückliche kulturelle Erfahrung und lässt mich umso mehr bedauern, dass es in Deutschland keine so ausgeprägte Tanzkultur gibt.
Trotzdem war ich froh, als es für mich wenige Tage vor Weihnachten hieß: ab nach Hause! Nachdem ich zuerst überlegt hatte, die Feiertage in Lettland zu verbringen, hatte ich mich letztendlich zur Heimkehr entschieden. Auch die Befürchtung, ich könnte nach meiner erneuten Anreise in Lettland Heimweh bekommen, hat sich nicht bestätigt, und daher bin ich (auch trotz der jeweils sehr stressigen An- und Abreisen inklusive 3h Flugverspätung, Schneechaos, verpasstem Bus und außerplanmäßiger Übernachtung in Rīga) glücklich über meine Entscheidung, nach Hause gefahren zu sein und meine Familie und Freunde getroffen zu haben.
Zusätzlich zum Tanzen unternehme ich in meiner Freizeit viel mit anderen Freiwilligen. In Balvi sind Erik und ich zwar die einzigen, aber im nur eine halbe Stunde entfernten Ort Gulbene wohnen mittlerweile 9 weitere Freiwillige aus ganz Europa (und auch Rīga ist nicht unendlich weit entfernt – vor den Weihnachtsferien waren wir jedes 2. Wochenende da, etwa für Geburtstage oder um auf den Weihnachtsmarkt zu gehen). Wir besuchen uns gegenseitig für Events, aber auch einfach nur fürs Schlittschuhfahren, gemeinsam Essen und ausgedehnte UNO-Runden. Ich bin sehr froh über die Freunde, die ich hier kennengelernt habe (sowohl internationale Freiwillige als auch Letten) und freue mich auf die kommenden Monate, die ich noch hier mit ihnen verbringen werde.
Was mich auch schon zu meinem letzten Punkt bringt: dem Wetter. Ende November fing der Schnee an, liegen zu bleiben und wir hatten die erste „Kältephase“ mit Temperaturen um die -13°C. Schon das fand ich zutiefst unangenehm und kalt (Dazu beigetragen hat sicher auch die Sonnenuntergangszeit von 15:25). Übertroffen wurde dieses Wetter kurz nach unserer Rückkehr nach Lettland Anfang Januar – an einigen Tagen überschritt die Maximaltemperatur keine -20°C, und ich konnte einen neuen persönlichen Temperaturtiefenrekord von etwa -30°C an einem Montagvormittag auf dem Weg zur Arbeit erleben (und der normalerweise kälteste Monat, Februar, kommt erst noch). Bei solchen Temperaturen funktionieren zwar weder viele Autos noch öffentliche Kaffeeautomaten, aber es liegt eine besondere Schönheit in blauem Himmel und Sonne wenn der Schnee vor Kälte knirscht und alles tief gefroren ist. Natürlich hoffe ich aber, dass solche Kältephasen eher Ausnahme als Regel für die kommenden Wochen werden. Der Schnee selbst bietet aber auch neue Möglichkeiten auf Arbeit. Wir werden z.B. in 2 Wochen mit einigen Youngsters einen Ausflug zu einem „Berg“ machen um dort zu rodeln.
Insgesamt kann man dann doch sagen: ich freue mich ungemein auf den Frühling – von einer „-12°C ist eigentlich recht angenehm“ – Einstellung hab ich irgendwann auch mal genug.
Uz redzēšanos!
Charlotte verbringt ihren Freiwilligendienst in der NGO Kalmārs, ihr Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.