Ich traue mich schon gar nicht mehr richtig, auf den Kalender zu sehen – schließlich habe ich nur noch etwas mehr als 2 Monate bis mein Freiwilligendienst in Balvi endet und ich zurück nach Deutschland gehe. Nach Weihnachten dachte ich noch, dass ich ja viel Zeit übrig habe. Doch ohne es zu merken sind die letzten Monate verflogen und ich muss akzeptieren, dass ich mich im finalen Viertel meiner Zeit in Lettland befinde.
Sveiki! Seit meinem letzten Bericht sind 3 Monate vergangen. Der Gegensatz zwischen Mitte Januar, als ich zuletzt einen Bericht verfasste, und jetzt ist groß. Zuerst einmal ist da das Wetter. Von eisig kalten Temperaturen im Januar und großen Mengen Schnee über das rutschig-glatte Eiswetter, welches wir im Februar hatten (praktisch den ganzen Monat musste man genau auf seine Schritte achten, und nach einem Tag mit Eisregen an dem alles von Straßen über Häuser und Zweige von einer zentimeterdicken Eisschicht ummantelt wurde wünschte ich mir nichts mehr als Spikes oder direkt Schlittschuhe), zum Tauwetter Anfang März mit Überschwemmungen und dem beginnenden Frühling bis jetzt im April, wo wir gestern 25°C hatten, war es ein langer Weg. Der erste Punkt an dem ich wirklich merkte, dass der Frühling nahte, war als ich immer weniger Eisfischer auf dem Balvu Ezers, dem stadteigenen See, sah. Bis das Eis jedoch komplett vom See verschwand, war schon fast Ostern gekommen.
Aber auch sonst hat sich viel entwickelt. Nachdem wir Anfang Februar unser Mid-Term Training in der Nähe von Ogre hatten, haben sich unsere Verbindungen zu Freiwilligen in Rīga, aber auch anderen Städten wie Rēzekne, Ventspils oder Preiļi gestärkt. Wir veranstalten nun regelmäßiger große Events in unserem Jugendzentrum in Balvi und laden andere Freiwillige ein. Zum Beispiel hatten wir im März einen Abend, an dem wir Maultaschen gekocht haben und zu dem als Unterstützung deutsche Freiwillige aus Rīga und dem estnischen Valga kamen und bis Sonntag bei uns in Balvi blieben.
Ansonsten helfen wir immer noch Sprachenlehrer an unterschiedlichen Schulen und haben jetzt auch angefangen, einmal in der Woche Online-Englischunterricht zu geben. Sehr intensiv war für mich auch die Woche vor Ostern. Ich unterstützte meine Kolleginnen jeden Tag mit Aktivitäten. Besonders hervorzuheben wäre da das „Zaķu Skrējiens“ (Hasenrennen), bei dem wir an verschiedenen Stationen im Stadtpark Balvis Osterspiele anboten, und an dem über 100 Kindergartenkinder aus der ganzen Region teilgenommen haben, darunter auch die Kinder mit denen wir jeden Donnerstag in Rugāji arbeiten. Andere Events aus den letzten Monaten waren etwa Filme- und Spieleabende, Basteln, die Aufnahme eines Podcast, das Veranstalten eines Escape Rooms oder das Sprechen über den Europäischen Solidaritätskorps am örtlichen Gymnasium. Wir verstehen uns auch mit unseren Kolleginnen sehr gut und sind gleichberechtigte Mitglieder des Teams.
Auch außerhalb der Arbeit versuche ich, so viele Gelegenheiten wie möglich am Schopf zu packen und zu nutzen. Als im Januar so viel Schnee lag, sind Erik und ich mit unserer Koordinatorin in die Nähe von Alūksne zum Skifahren gewesen (dass es in Lettland überhaupt Berge gibt, die groß genug sind damit sich eine Piste lohnt, hätte ich davor nicht gedacht), und im Februar, als alles eisig und grau war, waren wir mit unseren Kolleginnen für einen Tagesausflug in Tartu, der zweitgrößten Stadt Estlands, für einen Erholungstag mit Museum und Spa. Ein weiterer Tagesausflug verschlug uns im Februar zum Schloss Cesvaine (das wahre Highlight des Tages war es aber, den herannahenden Frühling zu spüren und das spärlich ausgebaute lettische Zugnetz zu benutzen). Es stehen aber noch viele Orte auf meiner Liste die ich „abarbeiten“ möchte, und ich habe manchmal das Gefühl, als ob ich die ersten Monate zu wenig in dieser Hinsicht genutzt hätte.
Am Wochenende vor Ostern aber verbrachte ich einen Kurzurlaub mit einem befreundeten Freiwilligen in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Vilnius liegt zwischen einigen Hügeln und hat sowohl eine wunderschöne Altstadt als auch ein modernes Viertel mit Hochhäusern, wodurch die Stadt einen gänzlich anderen Charme als Riga bekommt. Trotz dem (erneut) schlechten Wetter genoss ich meine Zeit sehr und war positiv überrascht. Ich kann Vilnius für eine Städtetrip definitiv empfehlen.
Kurz vor Ostern schließlich bekam ich Besuch von meinem besten Freund aus Deutschland. Ich nahm mir einige Tage frei und wir fuhren nach Kolka an die lettische Ostseeküste um einige Tage zu entspannen. Diese Zeit war sehr schön, obwohl das Wetter mit starken Windböen und Schneeregen besser hätte sein können.
Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich mich in meiner lettischen Umgebung und mit den Gepflogenheiten, Traditionen und Events gut zurecht finde. Zwischen dem letzten Bericht im Januar und diesem hier partizipierte ich mit meiner Volkstanzgruppe in 5 Konzerten, von denen die meisten in Balvi stattfanden (einmal fuhren wir nach Kārsava). Jedes dieser Konzerte bringt ein Gefühl des Traditionsbewusstseins und gleichzeitig der Moderne mit sich, und ich finde es insbesondere überraschend, wie viele auch junge Leute an diesen teilnehmen und dort tanzen.
Ein weiteres lettisches Ereignis, welches ich erleben konnte, war der Žetoni – Abend einer Freundin zu dem Erik und ich eingeladen wurden. Die Žetoni – Feiern sind eine Art Abiball im Februar bis März vor den eigentlichen Prüfungen und werden ausgelassen in den jeweiligen Schulen (auch mit großen Mengen Alkohol) gefeiert. Die Stimmung war eine gänzlich andere als ich sie von meinem Abiball kannte, und das rein im positiven Sinne.
Und nun zum letzten wichtigen Punkt: meinen Lettischkenntnissen. Der zweimal in der Woche stattfindende Unterricht macht sich definitiv bezahlt, auch wenn unsere Lehrerin sehr fordernd ist und ihre Hausaufgaben (Beispiele: 50-70 Wörter Text schreiben; 10 Sätze mit Akkusativ; 5 Sätze mit Nebensätzen etc.) recht viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich merke deutlich meinen Fortschritt, vor allem im Verstehen von anderen Menschen. Selber sprechen fällt mir noch schwer, bet man kļūst arvien labāk un labāk ar rakstību un lasīšanu. Erneut sei gesagt: dran bleiben macht sich definitiv bezahlt!
Ich freue mich auf meine letzten Monate hier, die Events die ich organisieren, die Orte die ich sehen werde und vor allem Līgo un Jāņi, das lettische Mittsommerfest vom 23. auf den 24. Juni. Ich bin gespannt, was sonst noch so kommt und lass mich überraschen. Atā!
Charlotte verbringt ihren Freiwilligendienst in der NGO Kalmārs, ihr Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.