6 Monate in Paris arbeiten und leben, das mag nach “Emily in Paris” klingen, ist aber meistens das komplette Gegenteil (zum Glück!).
Statt in teuren Restaurants und Cafes auf Glamour-Boulevards findet mein Alltag überwiegend zwischen den Plattenbauten der Banlieus statt. Denn ich arbeite und wohne in den nordöstlichen Vororten, dem Departement Seine Saint Denis, welches das ärmste in ganz Frankreich ist und dementsprechend von den Touristenmassen und der kulturellen und politischen Elite der Weltmetropole meistens gemieden wird. Trotz des schlechten Rufs dieser Gegend und der vielen Ratten, habe ich mich hier aber schnell zurecht gefunden und genieße die Parks und Angebote, von denen man in der Innenstadt eher weniger mitbekommt.
Fährt man nach der Arbeit für einen Cafe oder ein Bier mit Freunden in der völlig überfüllten Metro in die Innenstadt fühlt sich das immer ein bisschen nach Kurzurlaub an, so unterschiedlich ist die Stadt innerhalb und außerhalb des Peripheriques, dem Autobahnring, der die Stadt wie eine Stadtmauer umschließt.
“Planet Citizens”, die Organisation für die ich hier arbeite, ist wie eine kleine europäische Familie. Wir sind acht Volunteers aus unterschiedlichen Ländern und wollen den europäischen Gedanken in die Grundschulen und anderen Einrichtungen dieser sozial prekären Gegend bringen. Dabei sind die Themen europäische Mobilität und Kultur sowie “European Citizenship” unsere zentralen Anliegen. Was bedeutet es Europäer*in zu sein? Was verbindet uns und welche Hürden müssen wir überwinden bei der europäischen Integration? Mit diesen Fragen sind nicht nur wir Volunteers tagtäglich konfrontiert, sondern wir wollen uns dazu auch mit den Kindern und Jugendlichen aus der Pariser Vorstadt austauschen.
Meistens geschieht das im Rahmen des Sportunterrichts, den wir in verschiedenen Grundschulen auf Englisch anbieten. Der Austausch über die Sprachbarriere hinweg durch den Sport ist zwar manchmal herausfordernd, gibt einem aber auch die Möglichkeit, auf eine ganz neue Art und Weise Inhalte zu vermitteln und sich zu verständigen. Besonders spannend dabei ist, dass jeder von uns Volunteers andere Erfahrungen und Hintergründe aus den verschiedenen Ländern, aus denen wir kommen, mitbringt.
Da die meisten öffentlichen Schulen hier, wegen mangelnden finanziellen Mitteln und Lehrkräften, nur begrenzt die Möglichkeit haben, neue Projekte und Ideen auszuprobieren, sind die Schüler jedes Mal umso aufgeregter uns zu sehen, eine Stunde lang Sport zu machen, Englisch zu lernen und sich mit uns auszutauschen.
Zusätzlich zu dem Unterricht in Schulen kommt eine Menge vielfältiger Aufgaben, die anfallen. Zum Beispiel erstellen wir Lernmaterial, das die Schulen eigenständig für den Englischunterricht verwenden können, wir gehen in Sportvereine um Englisch beizubringen und gemeinsam Sport zu machen, oder helfen bei Stadtteilfesten oder anderen Events. Da kann es auch mal vorkommen, dass wir einen ganzen Morgen lang damit beschäftigt sind, in unserem Viertel Müll zu sammeln oder den Nachmittag über versuchen, Erwachsene auf Alltagssituationen in Englisch vorzubereiten.
Aber was das Projekt so richtig interessant macht, sind die vielen Einladungen und Möglichkeiten, die wir als Volunteers erhalten, zum Beispiel konnten wir die French Open, ein professionelles Wasserballspiel und ein Konzert besuchen.
Und dann ist da ja noch diese eine Sache, die seit einigen Monaten schon omnipräsent im Pariser Stadtbild ist, genau: Die Olympischen Spiele!
Für drei Wochen im Sommer wird sich die gesamte Aufmerksamkeit der Welt auf Paris richten. Und auch die Vororte im Norden der Stadt, die davon sonst eher weniger bekommen, werden im Zentrum des Großevents stehen, denn hier befinden sich mehrere Wettkampfstätten und auch das olympische Dorf. Für uns als Sport- und Paneuropäisches Projekt, ist das eine einmalige Möglichkeit eine Verbindung zwischen der (Sport-)Welt, die hier zu Besuch ist und den Menschen die hier wohnen zu schaffen und teilzuhaben an einem der größten und aufregendsten Projekte, die diese Orte seit langem gesehen haben.
Bis dahin sind aber noch einige Monate, die hoffentlich genauso vielfältig sind wie die ersten beiden, vollgepackt mit ausgiebigen Fahrradtouren durch die weltberühmten Straßen und Viertel, tollen Begegnungen in den Schulen und Vereinen von Saint Denis und gemeinsamen Abenden mit meinen Mitfreiwilligen in unserer Wohnung im 9. Stock mit Blick auf das Stade de France.
Nathanael
Nathanael verbringt seinen Freiwilligendienst bei Planet Citizens, sein Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.