Ich sitze gerade im Zug zum „Arrival Training“ in Warschau und finde endlich Zeit, um die vergangenen zwei Monate Revue passieren zu lassen. Ich habe in der letzten Woche mehrfach zum Schreiben des Berichtes angesetzt, aber meine WG hat da nicht mit gespielt. Wenn ich abends versuche im Wohnzimmer zu arbeiten, ist es fast unmöglich nicht unterbrochen zu werden. Ich leben mit fünf anderen Volunteers, einem Pfarrer und einem anderen Kirchenmitarbeiter in einer Wohnung. Dementsprechend ist immer jemand da, der sich unterhalten möchte. In meinem Zimmer verbringe ich trotzdem wenig Zeit, da ich mich wohlfühle mit den anderen um mich. Letzte Woche habe ich, aber den Versuch gestartet, den Text in meinem Zimmer zu schreiben. Keine Chance. Wenn ich nicht im Wohnzimmer bin wird halt an meine Tür geklopft und gefragt, ob ich mit Karten spielen möchte.
Vor ein paar Wochen wäre das vielleicht noch anders gewesen, aber inzwischen kenne ich alle so gut, dass man kaum noch Hemmungen hat. Schließlich ist Danzig für sechs Monate mein Zuhause. Ich erinnere mich noch gut an meine Ankunft in Danzig. Einerseits fühlt es sich an, als wäre ich gerade erst angekommen und andererseits ist mein Leben in Deutschland und der ganze Stress rund um mein Abitur schon ewig her. Vor ungefähr zwei Monaten bin ich mit dem Zug in Danzig angekommen und wurde von zwei Mitbewohnerinnen am Bahnhof abgeholt. Ich wurde mit Küsschen links und Küsschen rechts begrüßten. Für mein acht Wochen jüngeres Ich war das noch eine sehr befremdliche Situation, doch mittlerweile habe ich mich an die Herzlichkeit der anderen Freiwilligen gewöhnt. Die beiden Türkinnen, die mich abgeholt haben und meine Mitbewohnerin aus Aserbaidschan begrüßen alle mit Umarmung und Küsschen. Trotzdem bin ich froh, dass es in Polen, wie in Deutschland, nicht die gängige Begrüßung ist. In dem Hort, in dem ich arbeite, werde ich jeden Morgen von den drei Lehrerinnen mit einem „Cześć“ oder „Dzień dobry“ begrüßt. Die Kinder haben inzwischen verstanden, dass ich kaum Polnisch spreche und beschrenken sich entweder auf ein Winken oder umarmen mich stürmisch mit einem „Good morning pani Lya“. Um ehrlich zu sein hatte ich am Anfang Schwierigkeiten mit der Sprache. Die Lehrerin, die im Hort für mich zuständig ist spricht kein Englisch und ich dachte anfänglich, dass sie mich auch nicht verstehen würde. Sie ist aber ein herzenslieber Mensch und inzwischen gilt die unausgesprochene Regel, dass ich auf Englisch rede und sie auf Polnisch antwortet. Und ehrlich gesagt funktioniert es erstaunlich gut!
Seit meiner Ankunft Anfang Juli sind Sommerferien in Polen. Der Hort bieten in dieser Zeit ein Ferienprogramm für die Kinder, die nicht in den Urlaub fahren können, an. Daher war ich den letzten Wochen in diversen Freizeitparks, Museen, Wäldern, Schwimmbädern und Trampolinhallen und habe vermutlich genau so viel Spaß, wie die Kinder. Gleichzeitig ist es für mich die perfekte Möglichkeit, um Danzig und das Umland kennenzulernen. Es gibt aber natürlich auch Tage, die schwieriger sind. Tage, an denen ich meine Eltern und Freund*innen vermisse. Tage an denen ich einfach mal in den Arm genommen werden möchte. Trotzdem möchte och die Erfahrung auf keinen Fall eintauschen. Dafür fühle ich mich viel zu wohl. Täglich kommen zwischen 15 und 30 Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren in den Hort. Einige der Kinder haben eine Behinderung und bräuchten separate Betreuung, was leider nicht immer möglich ist. Der Hort befindet sich zusammen mit dem „Silver Club“, einem Treff für Senior*innen, in einer Kirche in einem der ärmeren Stadtteile von Danzig.
An den meisten Tagen ist es sehr laut und wir haben trotz der fünf Erwachsenen alle Hände voll damit zu tun Streit zu schlichten und Prügeleien zu beenden. Dabei kommt es dann teilweise auch vor, dass wir gebissen, geschlagen und getreten werden. Nach der Arbeit fahre ich täglich zum Fußball Training in die nächste Stadt, Tczew. Am Anfang habe ich kein Wort verstanden, aber mit jeder Woche verstehe ich mehr. Zusätzlich merke ich, wie es mir immer leichter fällt auf Menschen zu zugehen und um Hilfe zu bitten oder nach zu fragen, wenn ich etwas nicht verstehe. Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass ich die anderen nur störe und da viele Leute in Polen scheinbar kein Englisch sprechen, habe ich immer schnell aufgegeben. Inzwischen bin ich hartnäckiger und vermische die Bruchstücke Polnisch die ich kann mit Englisch und Deutsch und schaffe es so meistens, dass ich verstanden werde.
Abends und am Wochenende sitzen wir viel mit der WG zusammen. Wir legen uns dann gemeinsam die Karten für unsere Zukunft und versuchen Sätze in der Sprache der anderen auszusprechen oder tauschen uns über unsere Kulturen, Bräuche und Weltanschauungen aus. Die anderen Freiwilligen kommen aus der Türkei, Aserbaidschan, Spanien, Brasilien und der Ukraine. Insgesamt ist es ziemlich lustig, aber wenn es mir mal zu viel wird, kann ich mich jeder Zeit in mein Zimmer zurück ziehen und es wird akzeptiert. Von meinem Fenster aus sehe ich das Meer. Ich könnte stundenlang auf der Fensterbank sitzen und meinen Gedanken nachhängen, aber die Zeit dafür habe ich gar nicht. Und das ist auch gut so. An den Wochenenden haben wir normalerweise frei und nutzen die Zeit zum Erkunden von Danzig. Mich zieht es jede Woche mindestens ein Mal zum Meer und wenn eine*r aus der WG Pläne hat, schicken wir einfach die Bahnverbindung in die Gruppe und fragen, ob jemand mitkommen möchte. Es fühlt sich wirklich so an, als wäre ich gerade erst angekommen. Gleichzeitig weiß ich, dass schon ein Drittel der sechs Monate vorbei ist und das zeigt mir, wie schnell die Zeit hier vergeht.