Als Irma mir die E-Mail geschrieben hat, dass es Zeit für meinen zweiten Bericht wird, war ich ziemlich erstaunt wie schnell die Zeit umgeht. Hier bin ich, Annik, also wieder. Vor ein bisschen mehr als fünf Monaten bin ich nach Skopje, Mazedonien gezogen und volontiere in einem Projekt der Schule „D-r- Zlatan Sremec“, in der ich mit Kindern mit körperlichen und geistigen Behinderungen, überwiegend Autismus, arbeite.
Die letzten zwei Monate waren geprägt von Verabschiedungen und Begrüßungen. Ich gehöre jetzt in dem Volunteers Centre Skopje zu den Freiwilligen, die am längsten da sind und den Neuen die schönen Orte zeigen. Was am Anfang zu langen Umarmungen und Tränen der Verabschiedung führte, wurde jetzt zu schüchternen und neugierigen Kennenlerngesprächen. Eine neue Gruppenatmosphäre der Freiwilligen entstand. Neue Freiwillige aus Portugal, Polen, Finnland, Spanien und Frankreich sind gekommen und ich habe eine neue Leidenschaft, des Sprachen Lernens, entdeckt. Es ist toll, dass ich nicht nur Selbstbewusstsein, Mut und an Erfahrungen dazu gewinne, sondern auch noch viele Sprachen lernen kann. Mir gefällt die Interkulturalität der Freiwilligen sehr, es ist schön die Geschichten anderer Menschen zu erfahren, deren Heimat und Kultur so anders ist als meine. Außerdem helfen mir die Austausche untereinander, gegen unbewusste Vorurteile anzukämpfen und meine deutschen Privilegien zu sehen.
Meine Arbeit in der Schule fordert mich oft heraus. An manchen Tagen bin ich überfordert, weiß nicht, wie ich mit den Kindern umgehen soll und alles wird zu viel. An anderen sitze ich ohne Aufgaben an dem Tisch und warte auf das Ende des Arbeitstages. Mich frustriert das Gefühl nicht gebraucht zu werden. Anderseits war es vorher klar, dass ich keine große Verantwortung übernehmen kann, da ich weder Studium noch Ausbildung für diesen Job habe.
Es ist schön länger in einer Klasse zu arbeiten und die Kinder kennenzulernen. Die Kinder gewöhnen sich an mich und ich kann mit ihnen Aufgaben bearbeiten. Eine Routine zu haben, ist sehr wichtig bei Kindern mit Autismus und auch mir gefällt es besser, länger in einer Klasse zu arbeiten und mich nicht jede zwei Wochen neu einzustellen. Ich lerne über die Zeit ihre Charaktereigenschaften kennen und weiß welches Geräusch der Kinder was bedeutet.
In den letzten drei Monaten war ich in drei verschiedenen Klassen. Die erste Klasse hat sehr schwierige Kinder, Kinder mit Autismus und ADHS. Die Kinder dieser Klasse sind oft aggressiv, spucken in Gesichter, schreien, schlagen auf deinen Rücken und kratzen deine Hände auf. Ich wusste nicht, wie ich mit den Kindern umgehen soll, die beiden Lehrer*innen waren neu, seit zwei Monaten in der Klasse und konnten mich nicht vorbereiten. Ich wusste, dass diese Kinder auch ein sehr wichtiger und großer Part des Jobs sind und habe mich mit diesem Gedanken durch die zwei Wochen durchgezwungen. Die Wochen danach war ich in einer Klasse, in der ich sehr glücklich war. Ich hatte eine Lehrerin, die mir viel erklärt hat und die Möglichkeiten mit den Kindern einfache Aufgaben zu bearbeiten. Die meiste Zeit habe ich mit einem Kind gearbeitet, er hat ein Hydrocephalis. Er ist eine kleine Frohnatur, möchte oft Verstecken spielen, wiederholt Dinge die er lustig findet, z.B. dir den Stift wegzunehmen, endlos und lacht sich dann kaputt. Sein alleinerziehender Vater kümmert sich nicht sehr gut um ihn. Er trägt tagelang die gleiche Kleidung, seine Hände sind immer dreckig und er kommt mit Fieber oder Augenentzündungen in die Schule. Oft ist es viel härter die Familiengeschichten mitzubekommen, als die Arbeit mit den Kindern.
Auch das WG-Leben gefällt mir sehr. Zurzeit lebe ich mit einer Polin, einer Französin, einer Finnin und einem Portugiesen zusammen. Wir zeigen uns unsere Kulturen, indem wir manchmal traditionelles Essen für alle kochen oder Möbelstücke mit den Wörtern in unserer Sprache beschriften. Wir sind alle sehr unterschiedliche Menschen und wahrscheinlich würden wir, wenn wir es uns aussuchen dürfen, nicht eine Wohngemeinschaft bilden. Aber im Großen und Ganzen leben wir friedlich miteinander und haben ein gutes Gemeinschaftsgefühl.
Vor ein paar Jahren hatte ich eine riesen Panik vor meiner Klasse zu stehen und eine zehnminütige Präsentation zu halten. Letzte Woche bin ich mit anderen Freiwilligen in fünf verschiedene Grundschulen gegangen, in denen wir Erasmus Projekte und unsere Länder vorgestellt haben und mit den 12 bis 14-Jährigen Kindern viele Spiele gespielt haben. Vor dem ersten Workshop hat mich eine Freiwillige gefragt, ob ich aufgeregt bin. Mit der Frage und meiner Antwort, dass ich nicht aufgeregt bin, ist mir erst bewusst geworden, wie sehr ich diesen Monaten in Skopje gewachsen bin. Ich erkenne, dass ich selbstbewusster werde, mit jeder kleinen Aufgabe die ich bewältige, die mir vor einem Jahr oder sogar ein paar Monaten noch unmöglich schien und darauf bin ich ziemlich stolz.
Annik
Annik verbringt ihren Freiwilligendienst in der Zlatan Sremec Schule und im Volunteers Centre Skopje in Skopje, Nordmazedonien. Das Projekt wird durch das Europäische Solidaritätskorps gefördert.