Die Beschleunigung presst mich tief in meinen Sitz. Ich spüre, wie die Räder des Flugzeuges den Boden verlassen. Nach einer Kurve liegt der Kurs auf Amman an. Es ist der erste September 2022. Mein sechsmonatiger Freiwilligendienst in Amman mit dem ESK beginnt. Ich freue mich. Ich bin bereit. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was auf mich zukommt fühle ich mich sicher in meiner Entscheidung für diesen Aufenthalt.
Die ersten Wochen in Amman waren in ihrer eigenen Weise intensiv. Ich hatte lange darauf gewartet, endlich meine Heimat verlassen zu können und einen Wandel in meinem Leben zu beginnen. Die Aufregung, endlich angekommen zu sein, war antreibend. Neugierig versuchte ich mich in mein neues Lebensumfeld vorzutasten, das in all seinen Facetten anders und neu war. Ich saugte die Gerüche, Geschmäcker, Klänge und Eindrücke meiner neuen Umwelt gespannt auf. Zu Fuß oder per Taxi ertastete ich die Gegend um meine Wohnung, die sehr lebendige Downtown, die ruhigeren und sehr hübschen Viertel Jabal AlWebdeh und Jabal Amman.
In anderen Momenten, wenn die antreibende Aufregung nachließ, war das allgegenwärtig Unbekannte herausfordernd für mich. Dann überrollte mich das Gefühl, dass ich allein in einer riesigen Stadt war, ohne jemanden vertrautes zu kennen. Sehnsüchte und Fragen drängten sich auf. Ich fühlte mich einsam. Ein Gefühl der Ohnmacht kam dazu, weil ich kaum Orientierung in der Stadt hatte und mich ohne Perspektive fühlte. Wie kann ich Menschen treffen? Wie wird meine Zeit hier werden?
Die Organisation, für die ich arbeite, ist eine lokale NGO namens I Dare For Sustainable Development. Ich arbeite jedoch im C-Hub (Creative-Hub), einer vielfältig ausgestatteten Werk-statt, die zu der NGO gehört und deren Gebäude direkt nebeneinander liegen. Der C-Hub soll ein offener ‚Maker‘s Space‘ für junge Menschen sein, die dortiges Equipment benutzen können, um sich kreativ auszuleben. Gleichzeitig bietet der C-Hub Workshops und eigene Dienstleistungen an.
Die erste Zeit im C-Hub war nicht einfach für mich. Ich trat keine betitelte Arbeitsstelle an, die durch konkrete Aufgaben definiert war. Das erwartete ich auch nicht, da ich keine professionelle Qualifikation habe, sondern gerade erst meine Schulausbildung abgeschlossen habe. Doch das bedeutete auch, vor allem da ich wenig angeleitet wurde, dass ich mir meine Aufgaben selbst suchen musste. Mit der Zeit lernte ich die Organisation und ihre inneren Abläufe besser kennen. Nach eineinhalb Monaten bin ich nun an dem Punkt angelangt, an dem ich Dinge gefunden habe, an denen ich mit dem Gefühl arbeiten kann, tatsächlich in der Organisation etwas beizutragen. Momentan bemühe ich mich ein Zeitmanagement im C-Hub zu etablieren. Ich versuche Zeitpläne erstellen, um mehr Organisation und Überblick in die Abläufe des C-Hub zu bringen. Außerdem arbeite ich an einem neuen Layout, wie die Werkstatt umgebaut und umgeräumt werden könnte. Meinem Chef und mir sind mehrere Probleme in dem aktuellen Aufbau der Werkstatt aufgefallen, die wir ändern möchten. Parallel finden immer wieder teaminterne Workshops statt, an denen ich teilnehme.
Jordanien besteht zwar vor allem aus leerer Wüste, doch es gibt einige Orte wunderschöner Natur, von denen ich schon einige besuchen konnte. Ich hatte die Gelegenheit im glasklaren Wasser des Roten Meers zwischen Fischen und Korallen zu schwimmen, während man auf die rote Felsküste Ägyptens schaut. Kürzlich wanderte ich in einem verwunschenen Wadi (Tal) dessen steile Wände mit wunderbaren Pflanzen gesäumt waren. Meinen eindrucksvollsten Anblick von Natur jemals erlebte ich im Wadi Rum. Auf einer Sandwüste erhebt sich dort eine unbeschreibliche Felslandschaft in satten Farben, unfassbaren Dimensionen und unbeschreiblichen Formationen. Ich hatte das Glück, das Wadi bei Sonnenaufgang, -untergang und in der Nacht zu erleben. Zu jedem Zeitpunkt änderten sich die Atmosphäre dieses Ortes völlig. Der Anblick und die Atmosphäre des Wadi Rum wirkten bei mir mehrere Tage erfüllend und beglückend nach. Ich werde einige Bilder hier teilen, doch sie können nur im Ansatz die Erscheinung und die Magie dieses Ortes vermitteln.
Nach zwei Monaten in Amman habe ich mich durch Erkundungen gut in meiner neuen Umgebung orientiert und mit Routinen in meinen Tagesabläufen gefestigt. Schwierigkeiten mit Einsamkeit und Perspektivlosigkeit standen in dieser Zeit schönen Begegnung und besonderen Freundschaften gegenüber. An meinem Arbeitsplatz habe ich mich eingelebt. Ich genieße das Chaos und die Möglichkeiten der Stadt. Gleichzeitig habe ich schon die Schönheit der jordanischen Natur zu Augen bekommen.
Die Farbe Ammans ist das bleiche Gelb eines Steins, mit dem die meisten Häuser uniform verkleidet sind. Auch wenn das eine eigene Schönheit und Atmosphäre birgt, vermisste ich ab und an die vielen Farben des Herbstes in meiner Heimat.
Ich bin dankbar für alles, was ich schon erlebt und gelernt habe. Mit der großen Hoffnung, neue Freundschaften knüpfen zu können, schaue ich der weiteren Zeit entgegen. Wenn die erste Aufregung über einen neuen Ort verebbt und sich Routinen einstellen, versackt man leicht darin. Ich möchte meine Neugier beibehalten und weiterhin versuchen, mehr zu erfahren und zu entdecken. Aber ich bin zuversichtlich und freue mich weiterhin sehr, hier in Amman sein zu können.
Liebe Grüße aus Amman,
Caspar
Caspar verbringt seinen Freiwilligendienst bei I Dare for Sustainable Development. Sein Projekt wird durch JUGEND für Europa und das Europäische Solidaritätskorps gefördert.