Gesine in Miercurea Ciuc, Rumänien // 2. Bericht

Und schon ist Halbzeit

Seit vier Monaten nenne ich mein Städtchen „Heimat“, meine Unterkunft „Zuhause“ und meine Mitbewohner „Familie“. Von Herzen kann ich sagen, dass hier her zu kommen wohl die beste Entscheidung war, die ich hätte treffen können und noch immer fühle ich mich pudelwohl. Meine Zimmermitbewohnerin ist meine bessere Hälfte und 24/7 verbringen wir zusammen. Gemeinsam haben wir es geschafft in dieser schnelllebigen und aufregenden Zeit eine Struktur zu finden und immer wieder kleine Routinen zu haben.

Eine Struktur, die an einem normalen Tag so aussieht, dass wir morgens gemeinsam aufstehen. Meist zu spät, deswegen leicht gestresst und ohne Frühstück uns auf die eingefrorenen Fahrräder schwingen, um über vereiste Straßen zu unserem Office zu schlittern. Dort wird erstmal ein Himbeer-Vanille Tee getrunken und dann in unseren Plan für den Tag geguckt. Ungarisch Stunden, Development Trainings, Social Media und andere bürokratische Arbeit bringen Abwechslung in unsere eigentliche morgendliche Aufgabe, dem Organisieren und Vorbereiten des After School Clubs. Dabei haben wir im Dezember versucht uns so viele Aktivitäten wie möglich zu dem Thema Weihnachten zu überlegen. Zwischen Weihnachtsliedern singen, Nikolausstrümpfe nähen, Briefe an den Weihnachtsmann schreiben, Schneeballschlachten und Weihnachtskekse backen und bemalen, habe ich die Kinder in den verschiedenen After School Clubs ins Herz geschlossen, Lieblingskinder und weniger Lieblingskinder gefunden.

Zwei andere größere Aktionen standen im Dezember auf dem Plan, zum einen hat einer meiner Projektkollegen zu einer Spendenaktion auf seinem Blog aufgerufen und das mit großem Erfolg. Von dem Geld haben wir jedem Kind des ärmsten After School Clubs als Weihnachtsüberraschung eine eigene Tüte mit Spielsachen, Süßigkeiten und Bastelkram zusammengestellt und dem Häuschen Gemeinschaftsspielsachen wie einen Fußball, Tennisschläger oder allgemein Benötigtes wie einen Putzeimer, andere Putzsachen, Hefte, Stifte und Ähnliches gekauft. Das war für uns eine große Aktion und als wir jedem Kind die eigene kleine Tasche überreicht haben, hatten wir alle Tränen in den Augen. Besonders als die Tagesmutter am Ende zu uns meinte, dass diese Kinder nie in ihrem Leben solch viele Geschenke bekommen haben, wird einem die Nützlichkeit des Daseins hier doch wieder bewusst. Die andere große Aktion, welche auch bis dato noch andauert, ist ein Klettergerüst für die grade erwähnten Kinder. Auf deren „Schulhof“ gibt es zwar ein Klettergerüst, welches diese Kinder während unseres Besuches am Nachmittag aber nicht benutzen dürfen, da sie zu arm sind und deren Eltern mögliche Schäden und Reparaturen nicht bezahlen könnten. Einem Kind erklären zu müssen warum der eine Freund das Spielgerät benutzen darf und der Andere aber nicht bricht einem das Herz und ist aus meinen Augen unzumutbar. Deswegen hat meine Organisation gesucht und ein altes Gerüst aus privaten Händen gefunden, welches wir Stück für Stück abbauen und abtransportieren, um es dann vor Ort wieder aufzubauen und für jedes Kind zugänglich zu machen.

Die Wochenenden könnten nicht konträrer sein. Meistens sind wir unterwegs und erkunden die verschiedenen Seiten Rumäniens. 

So haben wir zum Beispiel eine Wanderung auf einen der Berge in der Nähe gemacht. Nach einem sehr steilem Anstieg haben wir in einer kleinen Hütte ohne Elektrizität und fließend Wasser übernachtet, in der Nacht Freunde gefunden und uns mit ihnen eine wilde Schneeballschlacht bei lauter Techno-Musik geliefert, um am nächsten Tag im frischen Tiefschnee wieder hinunter zu rutschen. Ansonsten machen wir viele Kurzurlaube in die verschiedensten Städte des Landes. Zwischen einem gefundenem kleinen Kätzchen als neuen Mitbewohner, viel Schlitten fahren, Kekse backen, Wichteln, Karaoke und neuen Trinkspielen, kommt Schlafen zwar ab und an zu kurz, aber das Leben genau richtig.

Kleine Routinen haben sich entwickelt, dass wir unserer Lieblingsbar ganz regelmäßige Besuche abstatten, wobei sich mein Talent für Tischkicker deutlich entwickelt halt. Genauso regelmäßig gehen wir ins Stadion, um den Icehockey Club der Stadt zu supporten. Es hat etwas gedauert, aber jetzt sind wir mit Fanschal ausgestattet als wahre Fans bei den Ultras aufgenommen wurden. Das Megafon habe ich dabei auch schon in die Hand gedrückt bekommen. Davon abgesehen sind es Kleinigkeiten, wie die Quiz Night, welche immer am ersten Montag des Monats von anderen Freiwilligen organisiert wird, der wöchentliche Ausflug ins Kaufland, das gemeinsame Kochen am Abend und die nächtlichen Gespräche und Gelächter am Küchentisch mit meiner neuen kleinen Familie 🙂

Die vermeintliche Struktur wird netterweise auch immer wieder unterbrochen, so hat sich meine Mitbewohnerin den Fuß gebrochen und übergangsweise sind wir für drei Wochen in eine andere Unterkunft gezogen, die genau in Zentrum liegt. Unser Zuhause zu verlassen und plötzlich mit acht anderen Freiwilligen auf kleinem Raum zusammenwohnen, war eine ziemliche Umstellung. Der Trubel im Zimmer und die vielen gemeinsamen Abende waren zwar schön, aber um so schöner war es dann als wir wieder zurück ziehen konnten. 

Über Weihnachten bin ich zudem nach Hause geflogen, um die letzten Tage des Jahres mit meinen Liebsten zu verbringen. Die Zeit in Deutschland war eine richtiger Kontrast zu meinem Alltag hier und ganz ehrlich, ich habe Rumänien vermisst und war um so glücklicher als es im Januar dann wieder zurück nach Rumänien ging. Der Alltag hielt aber nicht lange an, denn in der Mitte des Januars waren wir für unser Mid-Term Training in Bukarest. Dort haben wir viele andere Freiwillige getroffen, die ebenfalls in Rumänien sind. Alle Menschen dort waren total inspirierend und viele Gespräche und besonders die Abende gehören zu meinen schönsten Momenten seit ich hier bin.

Vielleicht kehrt in den nächsten Monaten ja mehr Ruhe ein, wobei ich das bei dem bunten Haufen um mich rum ernsthaft bezweifle und auch nicht hoffe… 

Ich werde berichten, 

Gesine

Gesine verbringt ihren Freiwilligendienst bei Care2Travel, ihr Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.