Ich sitze zuhause in der Küche, als ich die Nachricht bekomme: Meine ehemaligen Mitbewohner*innen schicken mir ein Bild von sich und dem gemeinsam gekochten Weihnachtsessen. Sie verbringen noch eine Woche in Danzig, bevor auch sie nach Hause zurück kehren. Mein Zuhause ist ab jetzt wieder die Wohnung in Hannover, in der ich mit meiner Familie lebe. Es ist erschreckend wie schnell Danzig nicht mehr mein zuhause ist, obwohl ich dort für über fünf Monate gewohnt habe. Ich bin noch keine Woche zurück und vermisse mein altes Leben jetzt schon.
Die Entscheidung für ein Freiwilligendienst bei den Europäischen Solidaritäts Korps liegt jetzt schon sieben Monate zurück und ich erinnere mich noch genau an die Beweggründe. Ich wollte Menschen helfen und etwas zurückgeben von dem, was ich selbst erlebt habe. Aber ich wollte mich auch selbst weiterentwickeln, zuhause ausziehen und neue Leute kennenlernen. Rückblickend ist es das Beste, was ich in den letzten sechs Monaten machen konnte, da alle meine Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen wurden.
Wenn ich an die Zeit zurück denke, denke ich gar nicht in erster Linie an meine alltägliche Arbeit, sondern an all die Begegnungen, die ich in der Zeit machen durfte.
Ganz besonders bewegend waren die Stunden, die ich im Altenheim verbringen durfte. In den letzten zwei Monaten habe ich jeweils einmal die Woche in zwei verschiedenen Altenheimen Deutsch unterrichtet und die Senior*innen so auf einen Ausflug nach Bremerhaven vorbereitet. Während der Arbeit im Altenheim habe ich gelernt, dass es mir richtig Spaß macht, mit alten Menschen zu arbeiten und dass ich mir nicht so viele Gedanken über alles machen muss.
Es ist die Erinnerung an den Enthusiasmus der Senior*innen der Tageseinrichtung, wenn sie stolz in die nächste Stunde kommen und mich mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ begrüßen, die mich jetzt noch glücklich macht. Ich glaube sie haben alle heimlich zuhause geübt, um mich in der nächsten Woche beeindrucken zu können.
Ich bin jeden Montag um 10 Uhr angekommen und wir haben gemeinsam eine Stunde Rummikub gespielt, bis es Zeit für eine Kaffee und Tee Pause war. Danach habe ich dann eine Stunde lang Deutsch unterrichtet und anschließend haben wir wieder bis zum Mittagessen gespielt.
Das andere Altenheim war auf Menschen mit Demenz spezialisiert und die Arbeit war deutlich anspruchsvoller, obwohl ich nur mit drei Senior*innen gearbeitet habe. Menschen im Rollstuhl und mit halbseitiger Gesichtslähmungen haben zu meinem Alltag gehört, genauso wie schreiende Grundschulkinder. Vor meinem ersten Tag im Altenheim war ich ziemlich aufgeregt, aber im Endeffekt haben sich alle sehr lieb um mich gekümmert und geholfen, wo sie konnten. Überraschender Weise konnte der eine Rentner noch sehr gut Deutsch aus seiner Schulzeit und hat beinahe alles perfekt nachgesprochen. Dafür haben die beiden anderen sich hauptsächlich auf das Zuhören und Wiederholen von einfachen Worten beschränkt.
Besonders berührend war, dass alle Menschen, die ich im Projekt kennengelernt habe, einfach als Menschen gesehen wurden und es nicht um die vermeintlichen „Fehler“ oder „Andersartigkeiten“ von ihnen ging, sondern um die Persönlichkeit und die individuellen Bedürfnisse.
Am Dienstag und Donnerstag habe ich in einem Hort ein bisschen außerhalb von Danzig gearbeitet. Neben den Räumlichkeiten in der Kirche gab es auch einen kleinen Pausenhof mit zwei Fußballtoren. Ich wurde immer stürmisch mit einer Umarmung begrüßt und traurig verabschiedet, wenn ich schon wieder gehen musste. Wir haben sehr viel Fangen, Verstecken und Fußball gespielt und die anderen Lehrerinnen haben sich sehr gefreut, dass sie nicht bei Schnee und Regen rausgehen müssen, da ich fast jeden Tag mit den Kindern draußen war. Manchmal haben wir auch Pilze gesammelt oder Kastanientiere gebastelt. Das Highlight war allerdings der Schnee ab Mitte November und die zahlreichen Schneeballschlachten.
An anderen Tagen haben die Kinder gelernt, wie man verschiedene Gerichte kocht und einmal in der Woche gab es eine Therapiestunde mit Hund.
Auch ich habe mich, wie ein kleines Kind, über den zahlreichen Schnee gefreut und hatte viel Spaß dabei meinen Mitbewohner*innen aus Spanien, Portugal und der Türkei dabei zuzusehen, wie sie zum ersten Mal Schnee erleben. Für mich vollkommen unvorstellbar, wenn man keinen Schnee kennt. Dafür konnten sie nicht verstehen, dass ich jede Woche mindestens ein Mal ans Meer fahre und auch bei zwei Grad nochmal baden gegangen bin. Ich glaube wir haben viel von einander gelernt. So wurde ich von einer Freiwilligen aus Aserbaidschan bekocht und habe die Türkinnen auf ihrem ersten Weihnachtsmarktbesuch begleitet und erklärt, was ein Adventskalender ist.
Ganz besonders vermisse ich auch die Freitage, an denen wir mit allen Freiwilligen im Büro gearbeitet haben. Es sind die Tage, die mir am besten und manchmal auch am wenigsten gefallen haben. Ich habe geliebt, wenn wir alle zusammen arbeiten durften, aber die Aufgaben waren leider manchmal nervig, anstrengend oder sogar unnötig. Es gab Tage an denen, wir Akten sortieren mussten oder Lager aufräumen sollten. Es gab aber auch Tage, an denen wir Essen an obdachlose Menschen ausgegeben haben oder Pakete für Menschen in Not gepackt haben. Trotzdem blieb noch Zeit, um Spiele zu spielen und uns so besser kennenzulernen. Außerdem konnten wir die Freitage dafür nutzen Events vorzubereitet und beispielsweise Präsentationen über die Europäischen Solidaritäts Korps vorzubereiten, die wir dann auf Jugendaustauschen vorstellen durften.
Jetzt sitze ich zuhause und sehe die Bilder der anderen. Es macht mich traurig und stolz zu gleich. Ich bin traurig, da ich diese Momente nicht mehr mit den anderen Freiwilligen teilen kann und stolz, da ich ein Teil dieses einzigartigen Teams sein durfte. Ich kann jedem jungen Menschen empfehlen einen solchen Freiwilligendienst zu machen und kann ESK und einen Aufenthalt in Polen auf jeden Fall empfehlen.
Ich bin mir sicher, dass die Zeit in Polen mich nicht nur kurzfristig verändert hat, sondern, dass es Erinnerungen sind, an die ich mich mein Leben lang mit Freude erinnern werde.
Lye verbringt ihren Freiwilligendienst in der NGO Caritas , ihr Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.