Danzig, den 16.05.2024
Liebe Rieke,
schwupps sind schon wieder sind zweieinhalb Monate vergangen, es ist jetzt also schon die Hälfte meinen Aufenthaltes hier vorbei. Als ich gerade so nachgesehen habe, was seit dem letzten Bericht passiert ist, war ich echt erstaunt, dass es doch so viele tolle Erlebnisse waren. Zum Glück schreibe ich Tagebuch, sonst könnte ich mir gar nicht alles merken!
Also Anfang März bin ich mit Begleitung meiner Mentorin Judyta und einer guten Freundin von ihr in die Baltische Oper (Opera Bałtycka) gegangen. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich ein professionelles Ballett, sie tanzten Don Quijote. Es war unglaublich und ich habe mir vorgenommen, dass es nicht mein letzter Besuch in der Oper war.
Dann sind viele weitere Dinge passiert. Eine liebe Kollegin hat uns verlassen und den Job gewechselt, es wurde eine Karaoke-Party für Volunteers gefeiert, am nächsten Tag gingen wir noch gemeinsam auf eine Demo für Frauenrechte, seit dem 20.03. gehe ich jeden Mittwochmorgen zu einem kostenlosen Polnischkurs für Einwanderer. Das hat meine Motivation fürs Lernen wieder enorm angehoben, meine Lehrerin ist nämlich super nett und geduldig. Macht richtig Spaß mit ihr! Die zweite Stunde verpasste ich aber direkt, weil ich nach Kuźnica gefahren bin, um dort sechs Tage lang in die Welt der Vogelkundler einzutauchen und bei der Akcja Bałtycka mitzuhelfen. Ich lernte viele Vogelarten (besser) kennen, lernte wie man Vögel aus den Stellnetzen holt (manchmal echt schwierig, weil besonders die Kleinen total verheddert sein können), stand morgens um halb 5 mit dem Vogelzwitschern auf und ging nach Einbruch der Dunkelheit schlafen. Auf dem Rückweg vom Vogel-Camp besuchte ich die Abschiedsfeier meiner Volunteer-Kollegin Saara, deren Projekt mit dem März endete. Und naja, dann war auch schon Ostern und ich wurde von Ostersonntag auf Ostermontag nach Lębork zur Familie meiner Mentorin eingeladen. Es gab leckeres polnisches Essen, interessante Spaziergänge und natürlich eine Wasserschlacht á la Śmigus-dyngus am Ostermontag. Mit Judytas Vater habe ich mich etwas auf Polnisch unterhalten. Es macht echt Spaß zu merken, dass man Fortschritte macht!
Mit den anderen Volunteers und deren Mentoren (leider ohne Judyta) machten wir Mitte April eine Pierogi-Nacht. Erst tranken wir etwas Wein, dann begannen wir, einen riesigen Berg Pierogi ruskie zu produzieren. Das dauerte etwa drei Stunden, aber wir hatten eine Menge Spaß dabei. Und wir waren so froh, als alles aufgeräumt war und wir endlich essen konnten. Es blieb auch nichts übrig! Abgesehen davon habe ich bisher schon mehrere Museen besucht, meist montags, weil dann freier Eintritt ist, und ich habe mir für ca. 25€ eine Jahreskarte für den hiesigen Zoo gegönnt. Ich stehe dem Konzept Zoo zwar kritisch gegenüber, habe aber auch einfach unheimlich viel Freude daran, die Tiere zu beobachten.
Kommen wir mal zum Thema Freiwilligenarbeit: Alle Hoffnungen aus meinem ersten Bericht sind erfüllt worden. Mein Workshop zum Thema Mülltrennung ist super bei den Schulen angekommen! Von Ende März bis Ende April war ich an 13 Tagen an 10 verschiedenen Schulen. Ende April kamen noch Anfragen für zwei weitere Workshopthemen, die ich noch schnell vorbereiten musste. CO2-Fußabdruck und Lebensmittelverschwendung. Zum letzteren Thema hatte ich mich auch schon mit der Bank Żywności (sowas wie bei uns die Tafel) bekannt gemacht und ausgetauscht. Ich lernte die Leute dort kennen, wie das Verteilen der Lebensmittel hier in Danzig funktioniert (über sog. Sozialläden) und wurde eingeladen, einen Workshop zum Thema Lebensmittel-Wertschätzung mit Schülerinnen und Schülern zu begleiten. Und dabei kamen wir auf die Idee, dass meine Plastiktüten-Tausch-Idee hier total gut passen würde, da viele Bedürftige keine Taschen besitzen, mit denen sie sich die Lebensmittel hier abholen können. Also konnte diese Idee auch endlich umgesetzt werden.
Zum Thema draußen arbeiten gibt es auch Fortschritte: einmal war ich mit Kamila, der Umweltaktivistin, in einer Unterkunft für ukrainische (Halb-)Waisenkinder, mit denen wir einen Vormittag lang kleine Blumen und Gemüsebeete angelegt haben. Außerdem hatte ich das Vergnügen, in der Amphibien-Wanderzeit neun Tage in Folge jeden Morgen einen Amphibienzaun abzugehen und den in die Eimer gefallenen Kröten, Frösche und Molche über die Straße zu helfen. Einmal sammelte ich auch einen Igel aus einem Eimer. Der arme war ganz verwirrt, was er jetzt bei Tageslicht tun soll, aber ich bin zuversichtlich, dass er seinen Schlafplatz unversehrt finden konnte. Hierbei ist es natürlich immer wichtig, Handschuhe zu tragen, um jegliche Krankheitsübertragungen zu vermeiden!
Mittlerweile habe ich auch ein paar polnische Ämter von innen gesehen, um mich hier zu registrieren, eine sog. PESEL-Nummer zu bekommen, die in ein zentrales Einwohnerverwaltungssystem eingepflegt ist und z.B. Arztbesuche erleichtert. Und auch den Wahlkampf der Kommunalwahlen zu verfolgen war sehr interessant. Bald geht es weiter mit den EU-Parlamentswahlen, für die ich mir jetzt bei meinem heimischen Wahlamt die Briefwahlunterlagen hierher bestellt habe.
Ende April gab es nochmal einige Veränderungen: Auch das Projekt von Arú ging zu Ende, die ältere Wohnung für Volunteers wurde aufgegeben und deshalb haben wir jetzt auch noch eine weitere Mitbewohnerin in der neuen Wohnung. Es zeigt sich erst jetzt, wie das Leben zu 5. Ist, denn nach ihrer Ankunft waren wir erstmal alle im Urlaub, ich sogar für 13 Tage und alle kamen erholt und ausgeglichen zurück.
Noch ein paar weitere schöne Kurznachrichten zum Ende: Ich habe Karaokebars für mich entdeckt und gehe dort jetzt häufiger singen und lerne tolle Leute kennen, ich habe jetzt auch die Zamenhofstraße in Gdynia (3./3) besucht, dort soll sogar ein neues Wandgemälde mit Esperanto-Bezug entstehen, ich hatte Besuch aus der Heimat, noch bevor ich selbst in der Heimat war, wo ich eine wunderschöne Zeit mit Freunden und Familie hatte. Und das Wetter ist so herrlich seit Anfang Mai, ich bin auch schon ein bisschen braun geworden.
Also sonnige Grüße aus Danzig!
Deine Michaela